Cookie-Einstellungen

Standpunkt 24.04.2024
Drucken

Standpunkt Steiger: Deutschland zwischen Wirtschaftswende und Ampel-Ende?

Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Ein TÜV-Prüfer gab vor Kurzem die skurrilsten Einwände von Autofahrern zum Besten, die er in seiner langjährigen Tätigkeit zu hören bekommen hat. Seine Top 3 waren:

1. "Vor zwei Jahren hat der Kollege kein Wort gesagt, dass mit den Bremsen etwas nicht stimmt."

2. Prüfer: "Sie haben starken Ölverlust am Motor". Autofahrer: "Macht nichts, ich habe in der Garage eine Wanne unters Auto gestellt."

3. "Nach hinten brauch ich nichts sehen, mich überholt keiner."

Diese grotesken Ausreden lassen nicht nur jeden gewissenhaften TÜV-Mitarbeiter verzweifeln. Sie sorgen längst auch für eine tiefe Frustration bei den Unternehmern in Deutschland. Denn die politische Debatte über die Erosion der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes erfolgt nach exakt dem gleichen Muster. Die Reaktionen auf das vorgelegte FDP-Papier zur Wirtschaftswende verdeutlichen diese Dynamik. So betonte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert reflexartig, der Koalitionsvertrag bleibe die Grundlage der Ampel-Koalition. Von Wirtschaftswende steht dort nichts geschrieben, also braucht darüber auch nicht diskutiert werden. Ja, zum Zeitpunkt des Koalitionsvertrages waren die Bremsen noch in Ordnung, seitdem gab es jedoch eine Zeitenwende: Die Bauwirtschaft befand sich damals noch im Boom, heute spricht sie davon, dass bauen faktisch unmöglich ist. Die Industrie war damals noch das Rückgrat des deutschen Wirtschaftsmodells, heute bricht die Produktion dramatisch ein.

Kommen wir zu der Wanne, die unter das Auto gestellt wird. Bundeskanzler Scholz wies erneut auf eine Reihe von Faktoren hin, die ein Aufhellen des deutschen Konjunkturhimmels wahrscheinlich machen. Die Aussicht auf sinkende Zinsen nannte er ebenso wie die auf den Weg gebrachte Möglichkeit, über den Renteneintritt hinaus weiterzuarbeiten. Zunächst sind mögliche Zinssenkungen keine Federn, mit denen sich eine Regierung schmücken kann. Sie obliegen der Entscheidung der Zentralbank. Seine weiteren angesprochenen Punkte sind Einzelmaßnahmen, die nicht ansatzweise ausreichen, um den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit aufzuhalten und Wachstumskräfte zu stärken. Eine Wirtschafts-Agenda, die Marktkräften vertraut, die klar festlegt, was in welcher Reihenfolge zu tun ist und wie man die einzelnen Teile nach klaren Prinzipien zu einem Gesamtbild verbindet, fehlt.

Zum dritten Punkt, dass wir doch eh nicht überholt werden. Dieser Hochmut, sich bei der Transformation selbst als Vorbild und schnellster Fahrer wahrzunehmen, prägt Teile der Ampelregierung und verstellt den Blick für die Realitäten. So kommt die deutsche Politik auf die Idee, die Welt im Alleingang retten und dabei wirtschaftlich an der Weltspitze bleiben zu können. Wir freuen uns über das neue Deutschlandtempo und benötigen 24 Jahre, um das Pergamonmuseum zu renovieren - den „Deutschlandtakt“ der Deutschen Bahn verschieben wir gleich mal auf das Jahr 2070.  Bundeswirtschaftsminister Habeck verkündet zum einjährigen Kernkraft-Abschaltfest alle Bedenken gegen den Atomausstieg als entkräftet. Die Strompreise sinken wieder. Leider sind Vorkrisenvergleiche nicht sonderlich relevant, solange Energie im internationalen Vergleich zu teuer bleibt und auch keine Perspektive auf künftig wettbewerbsfähige Energiepreise gegeben werden kann.

Es ist vollkommen richtig, dass die FDP die erforderliche Debatte zum Standort Deutschland endlich innerhalb der Ampel akzentuiert. Die Ausgangslage ist dramatisch und eindeutig. Das globale Wirtschaftswachstum steigt, bei uns nimmt es ab. Deutschland hat in den Jahren 2021 bis 2023 netto fast 350 Milliarden Dollar an Investitionskapital ans Ausland verloren, Frankreich dagegen konnte zuletzt einen Zufluss von 50 Milliarden Dollar verzeichnen. All diese Entwicklungen zeigen, dass es nicht um Konjunkturdellen oder Sonderfaktoren geht, sondern um strukturelle Probleme – der Motor stottert. Solange die Ampelregierung nicht gewillt ist, dieses Strukturproblem adäquat zu adressieren, schlafwandelt Deutschland weiter in Richtung wirtschaftlichen Abstieg.

Die von der FDP platzierten Themen sind sinnvolle Bausteine. Doch wir werden weiter gehen müssen. Deutschland braucht ein Umparken im Kopf und die Rückbesinnung auf die Soziale Marktwirtschaft mit den Prinzipien Wettbewerb, Freiheit und Verantwortung, Eigentum und Haftung. Die zurückliegenden drei Jahre werden als Epoche prägend in die Annalen der deutschen Geschichte eingehen, weil sie nicht nur zu einer geopolitischen Zeitenwende geführt haben, sondern in Deutschland auch die Grundfeste der in der Nachkriegszeit etablierten Wirtschaftsordnung erschüttert haben. Der Irrweg der vermeintlichen Sozial-ökologischen Marktwirtschaft und seiner zentralplanerischen Selbstüberschätzung, anmaßenden Industriepolitik und entmündigenden Detailregulierung hat die TÜV-Prüfung nicht bestanden und sollte nicht weiter den Verkehr gefährden.